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Versicherungsgeschäft – Heute das Überleben von morgen sichern

17.05.2023

Die Auswirkungen eines trügerischen Sicherheitsgefühls

Die Versicherungswirtschaft steht vor vielen Herausforderungen, die ihr beständiges Überleben auf lange Sicht gefährden. Insgesamt ist es daher wichtig, sich den Herausforderungen zu stellen und langfristige Strategien zu erarbeiten. Dazu gehören auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und die ganzheitliche Fokussierung auf die Bedürfnisse der Kunden. Nur so können sich die Versicherungsunternehmen am Markt behaupten und langfristig erfolgreich sein.

Die Struktur der Versicherungsindustrie als solche ist in der Vergangenheit gesund gewachsen. Hohe Markteintrittsbarrieren durch eine starke Regulatorik und vermeintlich komplizierte und schwer kopierbare Produkte hatten dafür gesorgt, dass die Branche nur selten von Innen heraus angegriffen wurde. Auch lange Vertragslaufzeiten und sehr regelmäßige Geldflüsse haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Versicherungen lange dachten, in sicheren Gewässern zu fahren.

Die massive Verlagerung der Profit-Pools weg von der Versicherungswirtschaft

„Durch die konstante Veränderung von Vertriebswegen bleibt die Marge heute bei dem Spieler, der die Endkundenschnittstelle kontrolliert!“

In den letzten Jahren hat es jedoch eine deutliche Verschiebung bei der Verteilung der Gewinnpools weg von der Versicherungswirtschaft gegeben. Gefördert wurde diese Entwicklung u. a. durch die Verlagerung der Informationssuche zu sozialen Netzwerken, die massive Kundenströme konzentrieren, wie Google, Facebook oder Tik Tok. Diese Plattformen dienen heute als „Türsteher“ und als primäre Informationsversorger und greifen über Werbeeinnahmen einen großen Teil der verfügbaren Marge aus vielen Industrien – so auch aus der Versicherungsindustrie – ab. Einiges davon wird voraussichtlich in Zukunft durch KI und Chat GPT ersetzt werden.

Auch Gerätehersteller wie Apple, Samsung und Xiaomi besetzen die Endkundenschnittstelle und lassen sogar Google sehr viel Geld dafür zahlen, auf den iPhones die präferierte Suchmaschine zu sein.

Die Vergleichsmöglichkeiten über Anbieter wie CHECK24 und verivox führen zur Kommodifizierung des Angebots in der Versicherungswirtschaft.

Insgesamt zeigt die Verlagerung der Gewinnpools weg von der Versicherungswirtschaft, dass die Branche sich anpassen und neue Ideen nutzen muss, um weiterhin erfolgreich zu sein. Unternehmen, die digitalisiert und innovativ sind, haben die Chance, von dieser Veränderung zu profitieren und ihre Marktposition zu stärken.

Abhängigkeit von Leadlieferanten und Verkäufern reduzieren

Eine hohe Abhängigkeit von Leadlieferanten und Kontaktverkäufern stellt Versicherungen oft vor Herausforderungen. Denn wenn es zu unvorhergesehenen Änderungen in der Branche kommt, haben solche Abhängigkeiten gravierende Auswirkungen auf das Geschäft.

Eine echte Verhinderung der Margenabwanderung ist möglich

Sind eigene Antragsstrecken auf der Website der Schlüssel?

In einem Markt, der zunehmend von der Digitalisierung geprägt ist, sehen einige den Schlüssel zum Erfolg in eigenen Antragsverfahren auf der Website für Versicherungsunternehmen. Durch diese Methode wollen Versicherer nicht nur die Abhängigkeit von Lead-Anbietern verringern, sondern auch die Kundenerfahrung verbessern und die Effizienz des Antragsprozesses steigern.

In der Realität können jedoch auch die optimierteste und benutzerfreundlichste Online-Oberfläche sowie hohe Investitionen in SEO und Online Marketing nicht verhindern, dass Suchmaschinen immer noch den Großteil des Traffics liefern. Somit entsteht eine absolute Abhängigkeit von Dritten wie Google, Bing & Co. Sobald eine Änderung des Algorithmus stattfindet – und das passiert regelmäßig – kann bei Fokussierung auf SEO der wertvolle Traffic über Nacht Geschichte sein. Große Portale wie CHECK24 haben zudem aufgrund der höheren Conversion-Rates und Kreuzsubventionierungsmöglichkeiten immer einen kompetitiven Vorteil gegenüber Einzelanbietern und können deshalb mehr für Positionen vorne in den Suchmaschinen bieten und damit den verfügbaren Traffic zu sich lenken.

Voraussetzungen für die Verhinderung sinkender Margen

Viele Versicherungshäuser haben noch andere Antworten auf die Herausforderungen und arbeiten an Lösungen wie Bancassurance oder Embedded Insurance. Doch auch damit verlangsamen sie die Auswirkungen der grundlegenden Probleme nur.

Eine echte Lösung für den Vertrieb von morgen muss zwei zentrale Kriterien erfüllen

  1. Vertrieb muss auch morgen noch existieren
  2. Versicherung muss echte Kontrolle über den Vertrieb haben

Folglich kann nur der Kauf von, die Beteiligung an und/oder der eigene Bau von versicherungsfremden Wertschöpfungsketten sicherstellen, dass die Konkurrenz nicht in die Wertschöpfungskette eindringt, über die mittels X-Selling Versicherungen verkauft wird.

Best Practice in der Kontrolle und Nutzung versicherungsfremder Wertschöpfungsketten für den Versicherungsverkauf – der globale Aufsteiger #1 – Ping An

Ping An ist ein chinesisches Holdingkonglomerat mit einer breiten Palette von Produkten und Dienstleistungen, darunter Versicherungen, Banken und Vermögensverwaltung. In den letzten 35 Jahren hat das Unternehmen seinen Aufstieg von null zu einem weltweit führenden Unternehmen in der Versicherungsbranche gestaltet. Ping An hat seine Präsenz auf der ganzen Welt ausgebaut und ist zur wertvollsten Versicherungsmarke der Welt geworden, mit einer Marktkapitalisierung von über 200 Mrd. Dollar und einem Jahresumsatz von über 110 Mrd. Dollar.

Was Ping An von anderen Unternehmen in der Branche abhebt, ist seine Fähigkeit, innovative Technologien wie Gesichtserkennung und künstliche Intelligenz zu nutzen, um das Kundenerlebnis zu verbessern und die Abläufe zu optimieren. Diese Technologien ermöglichen es Ping An, effektiver auf Kundenbedürfnisse einzugehen und personalisierte Versicherungsangebote im Rahmen anderer Wertschöpfungsketten anzubieten. Darüber hinaus hat Ping An eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung digitaler Produkte eingenommen, die einfach zu bedienen und auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind.

Als Weltmarktführer in der Versicherungsbranche hat Ping An auch sein Augenmerk auf die Schaffung eines offenen Ökosystems gerichtet, das auf Zusammenarbeit und Partnerschaft basiert. Mit einem starken Netzwerk von Partnern und Lieferanten ist Ping An in der Lage, eine breite Palette von Lösungen und Wertschöpfungsketten für seine Kunden anzubieten, die über reine Versicherungsprodukte hinausgehen.

Alles in allem zeigt der Aufstieg von Ping An, dass ein Unternehmen durch innovative Technologien und eine starke Ausrichtung auf Industrie übergreifende Kundenbedürfnisse mit dem Ziel, “Lebenswelten zu schaffen”, zu einem führenden Global Player in der Versicherungsbranche werden kann. Ping An hat bewiesen, dass es möglich ist, Tradition und Innovation zu verbinden und damit erfolgreich am Markt zu bestehen.

„Mindset Shift“ in der europäischen Versicherungswirtschaft notwendig

In der europäischen Versicherungswirtschaft ist ein echter „Mindset Shift“ notwendig. Versicherer erkennen zunehmend, dass sie sich anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den veränderten Erwartungen ihrer Kunden gerecht zu werden. Dies erfordert eine neue Denkweise, die weg von der traditionellen Struktur des Versicherungsgeschäfts und hin zu einem stärker kundenorientierten Ansatz geht.

Ein wesentliches Element dieses „Mindset Shifts“ ist eine Verlagerung des Fokus von einer starken Perspektive auf die eigene Industrie und die Optimierung der Versicherungs-Customer Journey zu einem branchenübergreifenden Blick auf die “Lebenswelten” der potenziellen Kunden, in denen Versicherung nur ein Teil der Leistung ist. Ein Beispiel: Hundebesitzer wünschen sich einen gesunden Hund und suchen nach Lösungen, um ihr Tier bei der Krankenvorsorge und Genesung zu unterstützen. Die Hundekrankenversicherung ist dabei nur der Zahlmeister der eigentlichen Absicht. Deshalb sollte sie nicht losgelöst von der Krankenvorsorge- und Genesungswertschöpfungskette vertrieben und bereitgestellt werden, sondern als integraler Bestandteil.

Wie können branchenübergreifende Wertschöpfungsketten funktionieren?

Wertschöpfungsketten sind ein wichtiges Konzept in der Geschäftswelt und beschreiben den Weg, den ein Produkt oder eine Dienstleistung von der Entstehung bis zum Verkauf durchläuft. Meist werden Wertschöpfungsketten nur aus Betrachtungsweise eines einzelnen Unternehmens und dessen Produkt heraus betrachtet. Dies ist aus unserer Sicht jedoch nicht mehr ausreichend, um Kundenbedürfnisse umfänglich zu bedienen. Versicherungen sollten ihren Blick deshalb weiten und ihre eigenen Leistungen als Teil eines branchenübergreifenden Kundenerlebnisses denken.

Die Zusammenarbeit zwischen Versicherungen und versicherungsfremden Wertschöpfungsketten kann über mehrere ökonomische Wirkmechanismen funktionieren:

  • Nutzung von Kundenbeziehungen oder Daten der Versicherung für versicherungsfremde Dienstleistungen oder den Verkauf von versicherungsfremden Produkten
  • Gewinnung von Informationen über Kunden versicherungsfremder Produkte und Dienstleistungen und deren Erwartungen, um diese für den Verkauf von Versicherungen einzusetzen
  • Bereitstellung eines gemeinsamen Leistungsangebots (z. B. Produktbündel)
  • Partizipation der Versicherung an (hohen) Überschüssen & Zinsen aus dem versicherungsfremden Geschäft

Welche versicherungsfremden Wertschöpfungsketten sind mit einem Versicherungsunternehmen am besten kompatibel?

Jedes Versicherungsunternehmen hat unterschiedliche Produkt- und Kundenschwerpunkte. Somit ist eine pauschale Antwort, bei welchen versicherungsfremden Wertschöpfungsketten sich eine Versicherung engagieren sollte, nicht seriös möglich. Hier sind einige Beispiele, wie branchenübergreifende Wertschöpfungsketten funktionieren können:

Ganzheitlicher Lösungsanbieter für Individualmobilität

Individuelle Mobilität ist heute mehr als der Verkauf eines Autos. Es geht zusätzlich darum, verschiedene Bedürfnisse an Finanzierung, Versicherung, Wartung und Energieversorgung damit zu verbinden. In diesem Kontext ist es aus Kundensicht entscheidend, einen ganzheitlichen Lösungsanbieter in der individuellen Mobilität zu haben, der die Bedürfnisse der Kunden versteht und individualisierte Lösungen anbietet.

Einige Versicherer haben das daraus entstehende Potenzial erkannt und erste Schritte unternommen, um Teil der Mobilitätswertschöpfung zu werden. Beispielsweise hat die HUK die HUK Autowelt und den HUK Autoservice aufgebaut, um als Versicherer sowohl im Autohandel als auch im Service Fuß zu fassen und an diesen Teilen der Wertschöpfungsketten mitzuverdienen. Das Interessante an diesen Entwicklungen ist, dass die HUK für die Autowelt als Lead-Generierer agieren kann und beim Autoservice auch selbst in der Schadensabwicklung von dem Netzwerk des Autoservices profitieren kann. Somit sind beide Ventures synergetisch zum Kerngeschäft. Diesem Beispiel können andere Versicherungshäuser folgen.

Installation von Photovoltaik als synergetisches Geschäftsmodell

Auch im Markt für Photovoltaikanlagen lassen sich Synergien heben. Der Markt boomt. Seit 2018 hat der Markt ein Absatzwachstum von über 20 % verzeichnet und im letzten Jahr sogar um 40-50% zugelegt (Quelle: Destatis, DevelopX Analyse).

Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien gewinnen immer mehr an Bedeutung, nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht. Denn das Finanzierungsvolumen aus privaten PV-Installationen betrug 2021 mehr als 2,8 Mrd. Euro. Immer mehr Unternehmen und private Haushalte entscheiden sich für die Installation von Fotovoltaikanlagen auf ihren Dächern, um selbst Strom zu gewinnen und so ihre Stromrechnungen zu senken.

Versicherungsunternehmen können mehrere Ansatzpunkte nutzen, um in diesem Markt Fuß zu fassen. Einerseits haben sie Zugang zu Informationen über die Immobilien ihrer Kunden und auch deren Nutzung. Andererseits können Versicherungen große Kapitalmengen für die Finanzierung von Photovoltaikanlagen zur Verfügung stellen. Clever kombiniert lässt sich daraus ein Markteintritt in den PV-Markt gestalten, an diesem Markt mitverdienen, höhere Kundenbindung bei Versicherungsprodukten erzeugen, X-Selling fördern und nachhaltiges Agieren als Versicherung am Markt glaubhaft vermitteln.

Versicherungen als Marktteilnehmer im Bereich Haustierbedarf

Wenn es um Haustiere geht, sind die Deutschen sehr leidenschaftlich und liebevoll. Die Bedürfnisse der Tiere sind vielfältig und können je nach Art und Rasse variieren, was dazu führt, dass die Nachfrage nach spezialisierten Produkten und Dienstleistungen ebenfalls steigt.

Im Jahr 2021 haben 47 % der deutschen Haushalte ein oder mehrere Haustiere (Quelle: ivh, Statista, DevelopX Analyse). Egal ob es um die Gesundheit und das Wohlbefinden oder um die Unterhaltung und Beschäftigung von Haustieren geht, der Markt für Heimtierbedarf bleibt in Deutschland weiterhin stark.

Um daran als Versicherer zu partizipieren, könnte ein Haustier-Ökosystem aufgebaut werden, bei dem eine Versicherung sowohl die eigenen Produkte einbringt und verkauft, als auch an der Befriedigung von Bedürfnissen anderer Teilbranchen mit wie Tiernahrung und -zubehör verdient. Bedingt durch den hohen Futter-, Bewegungs- und Ausstattungsbedarf entstehen in einem Haustier-Ökosystem frequente Touchpoints, die für den Absatz von Produkten und für X-Selling genutzt werden können.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Versicherungsbranche aufgrund ihrer hohen Eintrittsbarrieren und der Komplexität ihrer Produkte in der Vergangenheit ein relativ sicherer und stabiler Markt war. Mit dem Aufkommen neuer Technologien und dem Wandel der Verbraucherpräferenzen steht die Branche jedoch seit Jahren vor wachsenden Herausforderungen und sinkenden Margen.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich Versicherungsunternehmen auf Innovationen einlassen, sich an die veränderten Kundenbedürfnisse anpassen und neue Geschäftsmodelle erkunden. Nur diejenigen, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln und auch unternehmerische Risiken einzugehen, werden in den kommenden Jahren erfolgreich sein und sich nicht durch Commoditisierung die Margen aus der Tasche ziehen lassen.