Die neue Generation Grabbeltisch
Die neue Generation Grabbeltisch
Der Durchbruch kam per Zufall: Mehr als 20 verschiedene Produkte hatten Christopher Piehler und Philipp Ralfs bei Amazon platziert - von Filzuntersetzern bis zu Fitnessgeräten. Immer wieder suchten die beiden Verkäufer nach Trends. Die Plattform war ideal, um auszuloten, wonach Kunden suchten: 'Man kann bei Amazon die Bibel und gleichzeitig Kondome verkaufen', formuliert es Ralfs scherzhaft. Dann kauften sie die Ware meist in China ein und kümmerten sich vor allem die Platzierung auf dem gigantischen Onlinemarktplatz. Die Logistik übernahmen Partner. Zum Bestseller wurde ein Gestell, mit dem Fahrräder präsentabel an der Wohnzimmerwand aufgehängt werden können. Knapp 20 Euro kostet das Produkt, fast 2300 Bewertungen finden sich bei Amazon, im Schnitt kommt die Aufhängung auf 4,3 von 5 Sterne. 'Wir haben zwei Boom-Märkte getroffen - den E-Commerce und das Fahrradfahren', sagt Piehler heute im Rückblick.
Dank dieses Volltreffers wurden die beiden Geschäftspartner Teil eines weiteren Booms, der gerade den deutschen Onlinehandel erfasst hat: Im vergangenen Jahr häuften sich bei den Hamburgern die Anfragen von Firmen, die systematisch kleine Amazonhändler mit einer sehr guten Platzierung in einer relevanten Verkaufskategorie und einer soliden Marge aufkaufen. Im Idealfall sind die Produkte spannend genug, um die Neugier von Verbrauchern zu wecken - und günstig genug, damit die Nutzer nicht zu lange über den Kauf per Klick nachdenken. Darunter können Hundespielzeuge, Küchenhelfer oder Oberbetten fallen.
Scheu vor dem Sprung
Im Eiltempo durchforsten derzeit mehrere Firmen die Landschaft dieser sogenannten 'Fulfillment-by-Amazon'-Händler, Verkäufer wie Piehler und Ralfs, die Verpackung und Versand komplett an den Konzern auslagern und deshalb kein eigenes Lager benötigen. Die Razor Group aus Berlin will bis zum Sommer bereits Marken mit einem Gesamtumsatz von 100 Millionen Euro unter ihrem Dach vereinen. SellerX, ebenfalls aus Berlin, erhielt im November zur Startfinanzierung bereits 100 Millionen Euro. Die Berlin Brands Group kündigte im Januar an, bis zum Herbst nächsten Jahres insgesamt 250 Millionen Euro für Zukäufe auszugeben. Und das US-Unternehmen Thrasio, das als Erfinder dieser aggressiven Wachstumsstrategie gilt, bringt im Gespräch mit der WirtschaftsWoche noch größere Summen ins Spiel: 'Wir können 500 Millionen Dollar für Zukäufe in Deutschland und Europa ausgeben', sagt Thrasio-Spitzenmanager Ken Kubec.
Die Aufkäufer konkurrieren um Unternehmer wie Piehler und Ralfs, die häufig im Nebenberuf mit dem Verkauf auf Amazon starten. Und den nächsten größeren Sprung hin zu einem wirklichen Handelsunternehmen scheuen: 'Viele schaffen die erste oder die zweite Umsatzmillion - aber dann müssen sie sich entscheiden, ob sie in richtige Strukturen und globale Expansion investieren wollen', sagt Felix Scheder-Bieschin. Mit seiner frisch gegründeten Beratung Octane Partners, die aus dem Company-Builder Truventuro hervorgegangen ist, hilft er gerade etwa einem guten Dutzend Händler beim Verkaufsprozess.
Eine wichtige Kennzahl ist dabei das sogenannte Seller's Discretionary Earnings. Dafür werden vom Handelsumsatz die Einkaufskosten genauso wie Marktplatzgebühren und Marketingausgaben abgezogen. Beobachter berichten, dass viele Verkaufspreise in etwa das Zwei- bis Vierfache dieser Kennzahl betragen. Für Einzelkämpfer eine solide Summe - für ein Leben in Saus und Braus reicht es jedoch nicht: 'Es springt am Ende keine Jacht und kein Flugzeug raus, aber für uns hat es sich zumindest gelohnt', sagt Piehler, der die über gut drei Jahre mit Ralfs aufgebaute Marke 'Charles Daily' zum Jahreswechsel an die Razor Group verkauft hat.
Die Aufkäufer versprechen dabei ein Fließbandtempo bis zur Unterschrift. In vier bis sechs Wochen wollen sie eine Marke übernehmen. Sie setzen dabei auf eingespielte Prozesse und viel Finanzwissen. Auf der anderen Seite sitzen jedoch häufig Verkäufer, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben mit einer Unternehmensübertragung beschäftigen. 'Faktisch wird diese Zeit wahnsinnig aufreibend als Einzelkämpfer', sagt Berater Scheder-Bieschin.
So müsse frühzeitig geprüft werden, ob Mitarbeiter, Lieferanten oder Gesellschafter bei einer Transaktion Mitspracherechte hätten. 'Nicht dass es kurz vor Schluss scheitert, wenn ich schon die Dollar sehen kann'. Er rät zudem dazu, Vertraulichkeitsund Exklusivitätsvereinbarungen sorgfältig zu verhandeln: 'Im schlimmsten Fall hat man sonst schutzlos sein komplettes Geschäft gegenüber einem potenziellen Wettbewerber offengelegt oder sich voreilig auf einen Bieter festgelegt'.
Konsumgüterkonzerne einer neuen Generation
Die Aufkäufer selbst agieren mit ihrem Modell irgendwo zwischen einer Private-Equity-Gesellschaft und einer neuen Generation von Konsumgüterkonzernen. Man sehe sich jedoch nicht als das nächste Procter& Gamble, betont Tushar Ahluwalia, Chef der Razor Group: 'Im Gegensatz zu P& G werden wir nicht Dutzende, sondern Hunderte globale Nischenplayer operieren - diese Komplexität konnte man früher, ohne Technologie, gar nicht abbilden.' Statt 100-köpfiger Teams pro Haarshampoo steuern einzelne Mitarbeiter direkt Dutzende Marken parallel. Dafür setzen sie auf ein hohes Maß an Automatisierung.
Im ersten Schritt reicht es dabei häufig schon, ausreichend Kapital in der Hinterhand zu haben. Kleine Händler wie Piels und Ralfs können in der Regel nur das investieren, was sie durch vorherige Verkäufe an Gewinn erwirtschaftet haben. Zwischen Nachbestellung und Lieferung vergehen oft Wochen - zwischenzeitlich kann der Artikel auf Amazon ausverkauft sein. Das aber straft die auf Kundenfreundlichkeit getrimmte Plattform schnell ab und verbannt das Produkt aus den Suchergebnissen. Firmen wie Razor, SellerX oder Thrasio bringen reichlich Kapital mit, um das zu verhindern - und einiges mehr zu ermöglichen: Piehler und Ralfs haben etwa beobachtet, dass die neuen Besitzer gleich bessere Fotos von ihren Produkten gemacht haben.
Im zweiten Schritt wollen die Aufkäufer dann mehr aus den zugekauften Marken machen. Denkbar ist eine Listung auf anderen Marktplätzen wie Ebay oder Alibaba. Noch bleiben jedoch viele Firmen im vertrauten Universum von Amazon und suchen sich dort zusätzliche Märkte. 'Wenn die Yogamatte in Deutschland gut funktioniert, können wir sie auch bei Amazon in den USA, Großbritannien, Indien oder Australien erfolgreich positionieren', beschreibt Ahluwalia das Modell. Die Gefahr: Je mehr man auf eine Plattform setzt, umso größer ist die Abhängigkeit. Ändert Amazon die Algorithmen oder produziert beliebte Produkte gar selbst, rauschen die Verkaufszahlen schnell in den Keller.
Im dritten Schritt, der deutlich aufwändiger ist, ließen sich daher rund um besonders beliebte Marken sogar ein eigener Webshop und ein eigener Auftritt aufbauen. 'Wir lassen diese Marken auf Amazon und darüber hinaus weiter wachsen - auf anderen Plattformen, im Direktvertrieb oder über den Handel', fasst es Sami Turkie, Geschäftsführer von Thrasio inDeutschland, zusammen. Weltweit hat Thrasio bereits mehr als 100 einzelne Marken übernommen.
Konsolidierung unter den Konsolidierern
Im vergangenen Jahr haben die Einkaufstouren der neuen Mini-Holdings richtig an Fahrt aufgenommen. Ihren eigenen Investoren versprechen sie leichte und verlässliche Renditen. Denn die übernommenen Marken sind schon vorher profitabel. Die Kapitalspritzen sollen zu einer Vervielfachung der Umsätze führen - und den Wert der einzelnen Marken schnell steigern. Theoretisch ist dann auch ein Weiterverkauf an einen strategischen Investor eine Option.
Doch noch wollen viele Aufkäufer langfristig die Kontrolle behalten: 'Unsere Ambition ist es, aus Berlin heraus ein riesige weltweite E-Commerce-Holding aufzubauen', sagt Ahluwalia. Trotz hoher Millionensummen könnte es aber unter den Aufkäufern selbst auch bald zu Übernahmen kommen. 'Es gibt jetzt schon ein Hauen und Stechen um die wirklich guten Marken', sagt Beobachter Scheder-Bieschin, 'da wird es sicher auch noch zu einer Konsolidierung unter den Konsolidierern kommen'.
Kontaktieren Sie Dr. Felix Scheder-Bieschin unter:
felix@octane-partners.com

Dr. Felix Scheder-Bieschin ist Partner bei TruVenturo und als Rechtsanwalt sowie Syndikusrechtsanwalt tätig.

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